Sebastian Riemer

Sebastian Riemer (*1982) hat an der Kunstakademie Düsseldorf studiert. Im Jahr 2017 erhielt er die Cary & Dan Bronner Residency in Tel Aviv. Seine Arbeiten wurden international gezeigt, u.a. in Paris, München, Wien, Düsseldorf und Peking.

Sebastian Riemer trifft seine Bildauswahl ganz bewusst. Die Recherche dafür kann durchaus mal mehrere Tage und um die Millionen Mausklicks dauern – denn die Bilder kauft oder ersteigert er im Internet. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung verschwinden immer mehr Zeitungsarchive, häufig werden sie aus Platz- und Kostengründen auf Internetplattformen oder über digitale Auktionshäuser zu billigen Preisen verkauft.

Dem Auswählen und Sammeln, als einer der zentralen Bestandteile Riemers Arbeit, folgt das Bearbeiten. Er vergrößert die gefundenen Bilder auf ein Maß, dass er für angemessen hält und ent-koloriert sie. Die schwarz-weiße, vergrößerte Darstellung der Fotografien lässt die Besucher*innen die Bildinhalte und vor allem die durch Riemer wieder sichtbar gemachten Retuschen entdecken. Viel mehr als der Bildinhalt interessiert Sebastian Riemer der Oberflächenzustand der alten Fotografien selbst. Durch seine Arbeit offenbaren seine Werke den Besucher*innen das, was durch das Digitale unsichtbar wurde. Seine Umgestaltung der Originale ist sowohl künstlerische Geste als auch Hommage an das Quellenmaterial.

Früher wurden Pressebilder dem Text entsprechend angepasst. Denn das Retuschieren von Fotografien begann nicht erst mit Adobe Photoshop. Die digitale und manuelle Bearbeitung, »Optimierung«, Redaktion und Postproduktion von Bildern, wie sie heute so ziemlich jedem von uns zugänglich ist, war jahrzehntelang eine Aufgabe für hochspezialisierte Fachkräfte. Die Bearbeitung von Nachrichten- und Werbefotos zur Reproduktion in Druckprodukten lag in der Hand der erfahrensten Retuscheur*innen. Durch den geschickten Auftrag von deckenden Farben in verschiedenen Grautönen konnten Details hervorgehoben, Staub und andere Fehler beseitigt, sowie unerwünschte Bereiche ausgeblendet werden.

Man stellt sich doch die Frage, wieso die Fotografie aus dem Werk ›Bird (Cage)‹ überhaupt genutzt wurde und wieso der Vogel nicht einfach direkt gemalt wurde, denn von der Fotografie ist auf dem retuschierten Teil das Bildes fast nichts mehr zu sehen. Es wird deutlich, dass das Phänomen der „Fake News“ keines der letzten Jahre ist. Riemers Arbeit ruft uns in Erinnerung welche Erwartungen wir an Bilder haben (sollten) und wie sehr sie doch unsere Wahrnehmung der Welt prägen. Wenn man den Titel dieser Serie ›Press Paintings‹ wörtlich nimmt (und wie gesehen, auch durchaus nehmen kann) bewegt man sich nun von der Presse-Malerei zu den Presse-Fotos, die ebenfalls historischen Zeitungsarchiven entnommen wurden.

 

Quelle: Biennale für aktuelle Fotografie 2020

 

Gruppenausstellungen, u.a.: House of Photography, Moskau: Fascinating Documents(2011); Museum Kunstpalast, Düsseldorf: Große Kunstausstellung NRW (2012); Museum Folkwang, Essen: Ecker, Riemer, Ruff (2017).

 Einzelausstellungen, u.a.: Goethe Institut, Tel Aviv: Squares and Girls (2017); DIX9, Paris: Réversibilité Photographique (2019); Stadtmuseum München: Archivarische Empathie (2019).

Bild: Sebastian Riemer: ›Soprano Tyler‹, aus der Serie Press Paintings, 2016, © VG Bild-Kunst 2019, Courtesy Galerie Dix9 – Hélène Lacharmoise